Mittwoch, 19. Mai 2010

Justiz, Leichen und Musik

Aus Zeitmangel nur ganz schnelle Stichworte: 

Am Montag (17.5.) ein Interview mit Richterin Bettina Brückner am Oberlandesgericht. Das Nordwestradio möchte sie portraitiert haben, weil sie vor wenigen Tagen zur Richterin am Bundesgerichtshof gewählt wurde. Eindrucksvolle Persönlichkeit! Und ich merke wieder mal, dass es ganze Welten gibt (hier die Justiz), von denen ich keine Ahnung habe. Abends (für einen Veranstaltungstipp im NDR) schnell noch ein Besuch bei der Generalprobe des Oldenburger Chores Bundschuh, der am Mittwoch in der Kulturetage sein neues Programm vorstellen wird: "Von der belebenden Wirkung des Geldes". Wohl wahr. Belebung ist immer was Schönes...

Dienstag: Ich bereite meinen Besuch beim Steuerberater vor, wg. Steuererklärung 2009. Das ist nicht besonders spannend, eher nervig. Ausgleich am Nachmittag: Ein ganz privater Besuch in den "Körperwelten", einer umstrittenen Ausstellung plastinierter Leichen. Anatomie dreidimensional, in allen Details. Den Besuch dort habe ich nicht bereut. Wohl aber die Fahrt von Bad Zwischenahn nach Bremen, hin und zurück. Sollte ganz vernünftig mit der Bahn vonstatten gehen. Großzügig wie die Bahn ist, hat sie uns wieder mal viel länger fahren lassen als wir wollten....

Heute, Mittwoch: Ich verarbeite jetzt das Interview mit der Richterin, dann fahre ich nach Westoverledingen und lerne (zwecks Portrait für NDR Kultur) einen jungen Schlagzeuger kennen, einen Schüler, der beim Landeswettbewerb "Jugend Musiziert" gewonnen hat und am Pfingstwochenende am Bundeswettbewerb teilnehmen wird.

Ganz schönes Spektrum, gelle?

Sonntag, 16. Mai 2010

Die Person hinter der Radiostimme

Faszinierend der Gedanke, dass hinter jeder der vielen Stimmen im Radio ein ganzer Mensch steckt, mit Ideen und Gedanken, Lebensweisen und Lebensweisheiten, Ansichten und Meinungen, von denen wir als Hörer nichts mitbekommen. Ein lebhaftes Beispiel ist Barbara Wesel, die gestern am 15. Mai als "Frühlingsgast" beim Nordwestradio weilte (im Art-Café des Horst-Janssen-Museums in Oldenburg): Sie ist ARD-Hörfunk-Korrespondentin, zur Zeit in London, davor in Brüssel, davor (gerade zur Wendezeit) in Berlin. Die Stimme ist bekannt, aber die Person? Wieder ein kurzweiliges Gespräch, Moderatorin Julia Westlake wie immer blendend vorbereitet und super-aufmerksam, und Barbara Wesel einmal nicht an das journalistische Objektivitätsgebot gebunden. "Englisches Brot ist gar nicht zum Essen da, damit kann man Matratzen reparieren" - "Prinz Charles tut mir leid: Werden Sie mal 65 mit der Aussicht, eigentlich sollte ich König sein, aber Muttern sitzt auf dem Thron und sitzt und sitzt"  -  "ICH hätte den Osborne nicht zum Finanzminister gemacht"  -  und so weiter und so heiter. 

Einen Tag später habe ich meine liebe Not, die Fülle an brauchbarem Material zum Nachbericht für Montagmorgen zu verarbeiten, denn das ist mein Auftrag. Eine prallvolle Stunde Gespräch auf einen aussagekräftigen Beitrag von dreieinhalb Minuten zu kondensieren, das ist mein Auftrag, mein Schicksal, meine Profession, und jawohl, auch meine Stärke. Ich war mal Lehrer, und ich sehe die Berufe des Lehrers und des Journalisten durchaus auf derselben Linie: Informationen sammeln, sortieren, geradezu didaktisch aufbereiten, und schließlich in allgemeinverständlicher Form von mir zu geben. 

Zugegeben, manchmal ist die Kunst des Weglassens recht schmerzhaft, wenn man sich so in die Inhalte oder die Sternstunden eines Interviews verliebt hat. Aber da hilft dann manchmal die Erinnerung an besonders rabiate Redakteure oder Tontechniker, die mit einem beherzten "Was der Hörer nicht weiß, macht ihn nicht heiß" ganze Originalton- oder Eigentext-Minuten entsorgen. Das bringt den Autor schnell wieder auf den gebotenen Abstand zu seinem Thema und seinem Manuskript.

Freitag, 14. Mai 2010

Kein Medienpreis für Gerhard

Die Veranstaltung im Haus der Bremer Sparkasse war schon beeindruckend. Es ging um den Medienpreis des Deutschen Roten Kreuzes. Unter knapp 180 Einsendungen hatte eine hochkarätige Jury je einen Beitrag für Print, Hörfunk und Fernsehen ausgeguckt. Die drei Preisträger teilten sich ein Preisgeld von 10.000 Euro, wohlgemerkt nicht aus DRK-Spendengeldern, sondern von der Sparkasse gesponsort.

Erste Überraschung für mich: Es war außer mir kaum ein nicht-gewinnender Bewerber da (die Namen der Gewinner standen ja vorher fest).

Zweite Überraschung: Dreimal gabs eine Laudatio, die tierisch neugierig auf den jeweiligen Beitrag machte, aber eben diese drei Beiträge kriegten wir nicht zu lesen, zu hören oder zu sehen.

Dritte, na ja, eigentlich keine Überraschung: Alle drei preisgekrönten Beiträge waren lange Reportagen oder Features. Dreiminutenstücke kamen nicht vor.

Also: Ich habe etwas über Zeremonien und schöne, unnütze Worte gelernt, habe unzählige Dankesworte an die unentbehrlichen Sponsoren gehört, und weiß nun, dass ich mich beim nächsten Mal mit einem monatelang recherchierten Beitrag bewerben muss, um überhaupt in die engere Wahl zu kommen. Leider müsste ich mich dafür ebenso lange aus dem Tagesgeschäft verabschieden.

Treu und tapfer - vom Datenschutz bis zum Kaspertheater


Wieder so eine wunderbar vielfältige Woche, die 18. Kalenderwoche, Anfang Mai. Sechs diametral verschiedene Themen an sieben Tagen abgehandelt. 

1) Montag. Sind die Überwachungskameras am Delmenhorster Amtsgericht rechtmäßig oder illegal? Umstritten. 

2) Dienstag. Wilhelmshavener Ingenieur-Studenten lassen ihre kleinen Robotermaschinen aufeinander los. Niedlich und spannend. 

3) Mittwoch/Donnerstag. Grüne im Bundestag scheitern mit ihrem Vorstoß, gebührenpflichtige Warteschleifen-Zeiten bei Hotlines zu verbieten. Ärgerlich. 

4) Donnerstag. Genau 30 Jahre nach einer Bremer Straßenschlacht findet in Hoya ein öffentliches Rekrutengelöbnis statt. Ich harre völlig durchnässt bei 8 oder 10 Grad Celsius auf einem zugigen Sportplatz aus, lasse das ganze militärische Kaspertheater auf mich einwirken und mache hinterher in aller Eile einen anhörbaren Beitrag daraus.  "Ich gelobe, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen, und das Recht und die Freiheit tapfer zu verteidigen." Die Formel geht ja eigentlich noch. Aber nachdem alle auf dem Platz sie gehört haben, muss der Unteroffizier dem Oberoffizier (oder wie der heißt), noch im Brüllton kasernenhoftauglich zuschreien: "Gelöbnis vollzogen" oder so ähnlich. Überhaupt: Gleichschritt, rechts um, die Augen links, präsentiert - das Gewehr, und all das... Ich bin immer noch froh und glücklich und von der Richtigkeit überzeugt, verweigert zu haben. 

5) Sonnabend. Der Schauspieler Uwe Steimle ist Frühlingsgast beim Nordwestradio. Moderatorin ist Julia Westlake. Wunderbar lockeres Gespräch. Wir erfahren viel über den Menschen Uwe Steimle und hören zum Glück sehr wenig von seinen manchmal anstrengenden politischen Ansichten. Gut gemacht, Julia. Nun muss ich noch den Nachbericht machen, für den Montagmorgen.

6) Sonntag. Im Rahmen der ostfriesischen Veranstaltungsreihe "Abenteuer Wirklichkeit" hat jetzt auch das Ostfriesische Landesmuseum im alten Emder Rathaus einen Programmpunkt: "Schein oder Wirklichkeit" zeigt 80 Gemälde der realistischen Malerei aus Deutschland und den Niederlanden aus dem 16. Jahrhundert, sprich: der Rembrandt-Ära. Ich muss zu Haus daraus noch einen Beitrag für den Montagmorgen schustern, aber Heike und ich lassen es uns nicht nehmen, außerdem noch die Realismus-Ausstellung in der Emder Kunsthalle zu besuchen. Das war längst fällig! Und es hat sich gelohnt.

Das war eine sehr volle Woche, aber das Gefühl ist schon toll, sechs so verschiedene Geschichten gestemmt zu haben.

Georg von der Was?

Georg von der Vring heißt er. Gesprochen "Fring". Ein Schriftsteller und Dichter, der in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg einen Antikriegsroman schrieb, noch zwei oder drei Jahre vor Remarques "Im Westen nichts Neues". Gelebt hat er bis in die späten 60er Jahre. 

Zwei sachkundige Männer, Dirk Dasenbrock und Falko Weerts, haben einen Abend lang Vorträge über ihn und sein Prosa- und Poesie-Werk gehalten, in der Landesbibliothek Oldenburg. Meine Rolle war dabei, den Roman-Auszügen und Gedichten die Stimme zu verleihen. Sowas liebe ich ja. Ich habe an dem Abend schöne Rückmeldungen von allen Seiten bekommen. Wieder einmal eine Verstärkung für meinen seit Jahren immer wieder auftauchenden Impuls, Hörbücher aufzunehmen.

Georg Klein - hatten wir den nicht schon?

Doch, Georg Klein war einer von den beiden Autoren, deren Lesungen für mich in der vollgepackten 11. Kalenderwoche Themen waren. Aber nun geht es um etwas anderes: Georg Klein hat den Literaturpreis der Leipziger Buchmesse erhalten und ist nun auch eine Homestory wert. Also besuche ich ihn am Sonntag, dem 25. April, in seiner ostfrieischen Wahlheimat. Ein wenig komisch, mit einem preisgekrönten Literaten zu sprechen, aber nicht seine Werke zum Thema zu machen, sondern die Wohnung und den Garten zu beschreiben, die Katze zu erwähnen, die Frau, die Kinder, die Landschaft rundherum und so weiter. Der Beitrag ist ganz ordentlich geworden. Sicher besser als der, den Reinhard Mey in seinem Song "Die Homestory" beschreibt. Ganz nebenbei möchte ich bemerken, dass ich inzwischen davon ausgehe: Ich kann gut die Atmosphäre schaffen, die Voraussetzung für ein fruchtbares Gespräch ist.

Vom pubertären Schulversager zum verantwortungsbewussten Weltumsegler

21. April  -  Für einen sechs-Minuten-Beitrag im Nordwestradio soll ich eine Oldenburger Familie portraitieren, die vor einigen Jahren die Welt umsegelt hat, mit Kind und Kegel. Genau genommen, haben nur Vater Bernd und Sohn Daniel, damals 16 Jahre alt, die ganze Welt umrundet. Die dazugehörige Mutter Susanne und die beiden Vorschulkinder sind nach der Atlantiküberquerung zurück nach Deutschland, weil die Gefahr durch Piraten zu unberechenbar wurde. 

Aber mein Zusammentreffen mit Goldschmied Bernd und Sohn Daniel war ein echtes Erlebnis. Sehr starke, gewachsene Persönlichkeiten. Mit beiden Beinen auf der Erde. Gestärkt durch den Kampf gegen Naturgewalten, gereift durch das Kennenlernen fremder Kulturen und außergewöhnlicher Menschen, zur Ruhe gekommen durch endlose Nächte unter fremden Sternen. Die Familie hat ein Buch über ihre Reise herausgegeben, in dem auch erklärt wird, wie Daniel vom pubertären Schulversager zum verantwortungsbewussten jungen Mann mutierte. Ich habe keine Ahnung vom Segeln, aber ich habe genug über die erzieherische Wirkung von "Mannschaft" und "Team" und "Verantwortung" gehört und gelesen, um all das höchst plausibel zu finden. 

Die beiden kleinen Kinder der Familie, zuvor sehr streitbar, haben während der langen Atlantikpassage ihre Harmonie gefunden. Vater Bernd und inzwischen erwachsener Daniel sind nach eigenen Angaben inzwischen unzertrennlich, leben und reisen und arbeiten gemeinsam und mögen sich nicht mehr missen. Schön. Anrührend. Ermutigend. Wieder ein Lebensbereich, in den ich ohne meinen Job nicht hineingeschaut hätte.

Soundtrack To My Life

Jetzt habe ich eine größere Lücke gelassen, aber nicht, weil nichts passiert wäre. Ich erlebe IMMER etwas. Nur das Nach-Bloggen wurde mir ein wenig mühsam. 

Unbedingt erwähnenswert ist der 19. April. Ich war mit Heike in Amsterdam. Morgens auf der Autobahn platzte ein Reifen, aber mehr ist nicht passiert, außer dass wir um ca. 6 Uhr bei ganz wenigen Plus-Graden eine gute halbe Stunde auf den ADAC-Helfer warten mussten, der uns mit brachialer Gewalt und einem richtig schweren Hammer die Felge von der Radnabe haute. Das hätten wir ohne ihn nicht geschafft. Ansonsten weiß ich genau, wie man ein Rad wechselt. 

Aber nun zum Eigentlichen: Wir haben Don McLean live erlebt! Der Mann, der 1971 "American Pie" herausbrachte und danach ausgesorgt hatte, hat mich mit seinen Liedern seitdem begleitet. Ich habe zeitweise ein Dutzend davon im eigenen Repertoire gehabt, habe sie fast vier Jahrzehnte lang an jedem Lagerfeuer, an jedem Strand, auf vielen Parties und auch auf vielen Bühnen gespielt und gesungen. Don McLeans Musik ist sozusagen der Soundtrack zu meinem Leben. Und nun war er endlich mal leibhaftig mit mir (und 1700 weiteren Menschen) im selben Raum. Wegen der Aschewolke aus Island war er ganz allein auf der Bühne, seine Band konnte nicht über den großen Teich. Besser so. Don McLean hatte die Bühne eingerichtet wie ein Wohnzimmer mit Coffeetable und Stehlampe, saß im Lehnsessel und spielte sein Programm ganz unbegleitet, unplugged und äußerst stimmungsvoll. War eine gute Idee, Heike, Dir dieses Erlebnis von mir zum Geburtstag schenken zu lassen. 

Den Rest der Zeit in Amsterdam haben wir genutzt, um das Anne-Frank-Haus und das van-Gogh-Museum zu besuchen, einen ausgedehnten Stadtbummel und eine Grachtenrundfahrt zu machen, und den schwimmenden Blumenmarkt zu besuchen. Schön!

Vollgepackte Woche

Elfte Kalenderwoche, Mitte März: 

Montag Autorenlesung Martin Suter "Der Koch" in der Oldenburger Kultur-Etage. Gut anzuhören, sogar unterhaltsam. Anschließend, mitten in der Nacht, liefere ich meinen Nachbericht per e-Mail an NDR-Kultur ab. 

Dienstag Autorenlesung Georg Klein "Geschichte unserer Kindheit". Absolut keine leichte Kost. Sehr intellektuell, sehr künstlich. Was an Emotionen oder Nostalgie drinsteckt, erschließt sich nur dem wirklich Willigen. Wieder sitze ich bis spät nachts am Manuskript, mache dann meine Sprachaufnahmen, baue die Originaltöne ein, schicke das fertige Dreieinhalb-Minuten-Stück ans Nordwestradio, als mp3 per e-Mail. 

Donnerstag bin ich vormittags im Dangaster Franz-Radziwill-Haus, zur Presse-Vorbesichtigung der neuen Ausstellung. Wieder Interviews, wieder schneiden, wieder texten, wieder Abnahme durch die Redaktion, wieder Sprachaufnahme, wieder alles zusammenbauen, wieder abschicken per Mail. 

Freitags geht mein Lehrauftrag "Journalistik" an der Fachhochschule in Emden für dieses Mal zu Ende: Mit der Präsentation der Prüfungsbeiträge der mehr als 50 Studenten. Die diesjährige Gruppe ist im Kurs extrem unaufmerksam gewesen, entsprechend mager und unbefriedigend sind die Beiträge (Hörfunkbeiträge zu selbst gewählten Themen, Länge eineinhalb Minuten). Manche bringen mich richtig in Rage, und ich fühle mich bei der mündlichen Bewertung wie Dieter Bohlen bei "Deutschland sucht den Superstar". Ich werde richtig gemein. ("Verkrampft, verquast, vergeigt. Ein stinklangweiliger Beitrag ohne Biss  -  dabei geht's doch ums Essen..."). Okay, ich habe auch Lob loswerden können. Aber weniger.

Schöne Woche für mich, aber schon ein bisschen anstrengend.

Striptease ohne "Licht-aus"


5. März: Generalprobe von Gounods Oper "Margarete/Faust" am Oldenburgischen Staatstheater. Hübsche Musik, aber etwas verquaste Handlung (Faust und Gretchen halt). Ich interviewe die Regisseurin, höre mir dann die erste Stunde der Generalprobe an, mit eingeschaltetem Aufnahmegerät, habe genug Audio und Eindrücke, fahre nach Hause, genieße das Wochenende und schreibe zwischendurch mein Radiostück in Grundzügen fertig, habe die Musikeinspielungen fertig geschnitten... Alles easy. So bleibt es auch. 

Aber eine Überraschung erwartet mich trotzdem. Am 7. März, Sonntag, ist Premiere. Ich habe vom Theater zwei Karten bekommen, das heißt, Heike kommt mit. Nun erlebe ich mit ihr gemeinsam die ganze Oper, von der ich ja nur die erste Stunde schon kenne. DREIEINHALB STUNDEN dauert die Aufführung! Okay, nett anzuhören, aber in der Mitte der zweiten Halbzeit wirds dann schon eine gewisse Geduldsprobe. Aber... 

Im Faust gibt es die Walpurgisnacht-Szene, wo Hexen mit ungezügelter Lüsternheit versuchen, den Gelehrten vom Gedanken an Gretchen abzulenken. Die Regisseurin in Oldenburg hatte diese Szene in einen Nachtclub verlegt. Plötzlich wurde das vollbesetzte Große Haus des Staatstheaters wieder hellwach: Die Dame, die den deprimierten Heinrich Faust bezirzt, ist eine eigens engagierte, professionelle Stripperin von der Hamburger Reeperbahn. Und ihr Strip lässt nichts zu wünschen übrig. Völlig cool entblättert sie sich, räkelt sich lasziv in unmissverständlichen Posen. Ungläubiges "ts, ts, ts" im Publikum, als auch die allerletzte Hülle fällt. Und was nun folgt, ist keine unschuldige Nacktheit wie am Badesee oder im Mädchen-Umkleideraum. Diese Frau weiß, was sie tut, und sie macht's gut. 

Ich sag's ja: Ich kriege durch meinen Job immer wieder neue Eindrücke, Einblicke in Lebensbereiche, die ich sonst vielleicht nicht kennengelernt hätte. Nun kann ich mir also den Besuch der Etablissements an der Reeperbahn sparen, den ich sowieso nie in Betracht gezogen habe. Besser als auf der Bühne des Staatstheaters kann's eigentlich nicht werden.

Ich und LAN-Party? Quatsch.

Mein Auftrag am 25. Februar: LAN-Party besuchen. 

Ein paarmal habe ich meinen Sohn Nico (www.nicosreise.blogspot.com) zu LAN-Parties gefahren. Zwanzig Teenager sitzen in einer Scheune oder einem Keller oder so, verbinden ihre mitgebrachten Computer und spielen gemeinsam Computerspiele. Nichts für mich! Aber nun hat das Nordwestradio mich hierher geschickt. Hier sollen Eltern erleben, warum ihre Kinder eigentlich so beharrlich am Computer kleben und die Welt um sich her vergessen.

Ich erlebe es selbst: Martialische Spiele, aber mit hohem Belohungsfaktor, mit grandioser Grafik und ballerndem Sound. Ja, das macht Spaß. Die Veranstalter vermitteln behutsam psychologische Kniffe, wie Eltern mit ihren Kindern über diese Spiele ins Gespräch kommen. Ich bin nicht ganz sicher, ob hier Verharmlosung stattfindet, das sage ich auch in meinem Radiobeitrag so. 

Aber ich habe definitiv wieder einmal Einblick in einen Lebensbereich gewonnen, der mir sonst verschlossen geblieben wäre. So ist mein Job. Klasse.


Unverhoffte Bahnreise


Hier kommt mein 11. Februar: 

Wie passend: Zwei ganz verschiedene Themen, völlig verschiedene Gesprächspartner, aber alles spielt sich in Rotenburg an der Wümme ab, von mir aus gesehen ein ganzes Stück hinter Bremen. Also, zwei Themen mit einer Fahrt, zwei Fliegen mit einer Klappe. Ich nehme mir vor, ausnahmsweise nicht mein Auto zu benutzen, sondern einen Dienstwagen des NDR. 

Tja, Pustekuchen. Schweißgebadet und mit verspannten Kiefermuskeln rolle ich kurz vor acht Uhr morgens beim NDR auf den Hof: Schon die 15 Minuten von Aschhausen bis zum Studio haben mir die Haare zu Berge stehen lassen. Schneetreiben, Nebel, Glatteis, Dunkelheit, und viel Verkehr... Ich konnte nur ca 60 km/h fahren. Und so sollte es weitergehen bis Rotenburg? 

Zum Glück gibt es den Kollegen Barnickel, der an diesem Tag schon eifrig bei der Arbeit im NDR war. Barni ist ein wandelndes Kursbuch (man nennt ihn auch Bahni!) und konnte mir innerhalb von Sekunden aufblättern, wie einfach und ungefährlich ich mit dem Zug nach Rotenburg gelangen würde. Der Rest des Unterfangens war der reine Spaziergang: Pünktlich mit der Bahn nach Rotenburg, pünktliche Ankunft im Rathaus, Super-Gesprächsrunde zum Thema Kulturförderung, anschließend zu den "Rotenburger Werken", zum Thema Behinderten-Wohngruppen. 

Mit massenweise Audio-Material und ohne lange Wartezeit sitze ich am Nachmittag im Zug und komme entspannt und ohne Blechschäden in Oldenburg an. Alles wie am Schnürchen. Heute war ich Glückskind.


Zuviel, zuviel!

Ich hatte mir ja vorgenommen, möglichst viele herausragende Erfahrungen seit dem Beginn des Jahres nachzutragen. Ich merke, was für ein riesiges Unterfangen das ist. Wie gesagt: Die Vielfalt ist unendlich, die Varianz der Themen und Menschen und Eindrücke überwältigend. Ich werde schon einiges weglassen müssen...

Einkaufen wie zu Großmutters Zeiten

19. Januar, Dienstag: Gut, dass die Orgelbau-Geschichte schon fertig und abgeliefert ist. Wieder kommt etwas völlig anderes auf mich zu, der Besuch in einem historischen Kaufhaus in Abbehausen, das ist bei Nordenham in der Wesermarsch. "Kaufhaus" ist einfach ein Krämerladen. Der ehemalige Inhaber hat das Geschäft in dritter Generation geführt, und er hat nie etwas modernisiert, nie etwas weggeworfen. Nun betreibt seine Tochter mit ihrer Schwägerin das "Kaufhaus" als eine Art Museumsladen, wenige Stunden pro Woche. Das Betreten der Räume ist eine Zeitreise. Hier einige Zeilen aus meinem Radiobeitrag: 

"Beim Öffnen der Tür erklingt hinten im Kontor die Ladenglocke. Das Betreten des Verkaufsraums wird zur Zeitreise. Deckenhohe Schubladenschränke erinnern an eine altehrwürdige Apotheke, eine Waage wie in den fünfziger Jahren und eine noch viel ältere Registrierkasse schmücken den Tresen. Lebensmittel werden hier zwar nicht mehr verkauft, weil der Laden nur noch freitags und sonnabends öffnet. Aber in den Regalen und Schubladen warten wie früher Haushaltswaren, Kerzen, Eisenwaren, Körbe, Besen und Bürsten auf Kundschaft. Keine Sorge, das sind keine Ladenhüter, sagt Ladenbetreiberin Susanne Schiller. ...  Susannes Schwägerin Tanja Schiller ist die Tochter des letzten Inhabers, der vor einem Jahr starb. Sie ist mit diesem Laden aufgewachsen, der zuletzt für ihren Vater nur noch ein Zusatzgeschäft, eine Liebhaberei war. Aber dieses Geschäft muss erhalten werden, muss am Leben bleiben, findet sie. Der jetzt wieder möglich gewordene nostalgische Einkaufsgenuss in dem antiken Ambiente ist längst nicht alles, was dieses Haus zu bieten hat. In Anbauten, Keller- und Bodenräumen stapelt sich, museal geordnet, eine unvorstellbare Vielfalt von Waren aller Art aus eineinhalb Jahrhunderten, von der 12er-Packung Juno-Zigaretten über Bügeleisen, Zollstöcke und Skatkarten bis zu Kinderspielzeug, Kerzenhaltern und Wäscheschleudern. Eine wahre Fundgrube, sogar schon mehrfach für die Requisiteure von Spielfilmen, bis hin nach Hollywood. Neben dem alten Warenbestand, den vier Inhaber nacheinander nicht entsorgt haben, sind außerdem die typischen alten Reklameschilder zu finden, auch sonstiges Werbematerial, ausgemusterte Tresen und Regale, und nicht zuletzt die gesamte Geschäftskorrespondenz und Buchführung seit Gründung des Ladens, die vom Förderverein mit wissenschaftlicher Akribie aufgearbeitet wird. Das Herumschnuppern in diesen Museumsbeständen ist wohlgemerkt nicht Teil des Einkaufsvergnügens in dem nun wieder zugänglichen Laden - aber schon der Einkauf ist ein Erlebnis und macht Lust auf die Museumsführung. Wann haben Sie zuletzt einzelne Knöpfe oder Schrauben gekauft? Bei Susanne Schiller im Historischen Kaufhaus Abbehausen kein Problem."

Wirklich: Das MUSS man gesehen haben!

Wieder einmal eine geheimnisvolle, faszinierende Welt

18. Januar. Wieder durch die weiße Landschaft hinaus in die Region. Das Nordwestradio möchte einen Beitrag über die Leeraner Orgelbaufirma Ahrend. Die baut demnächst eine Orgel für eine Kirche in Worpswede, die den guten alten Barock-Orgeln nachempfunden sein soll.


Ich habe den Namen der Orgelbaufirma Ahrend noch nie gehört. Ein Blick ins Internet verrät: Der Betrieb, vor kurzem vom Vater auf den Sohn übergegangen, ist international höchst renommiert und gilt als hochqualifizierter Spezialist für diese Art von Aufträgen.


Ich finde das kleine Unternehmen in einem Gewerbegebiet bei Leer und tauche in eine nie geahnte Vielfalt ein. Hier treffen sich Kunst und Handwerk, Musik und Tischlerei, absolutes Gehör und Feinmechanik. Unglaublich, was ein Orgelbauer wissen und können muss. Hier ein paar kleine Textauszüge aus dem Manuskript, das später am Tag an meinem Aschhauser Arbeitsplatz entsteht:


"Bevor der Neubau der Worpsweder Orgel beginnt, arbeiten Ahrend und sein knappes Dutzend Mitarbeiter noch an einem Restaurations-Auftrag. Ein Blick in die Werkstatt offenbart, wie komplex das Orgelbauhandwerk ist: Meterlange hölzerne Subbasspfeifen sind neu zu verleimen, gleichzeitig werden winzigste Metall-Ösen für die Windladen-Mechanik entrostet. Klar, dass zu alledem eine ganz eigene Fachsprache gehört. ... Lieblich, derb, scharf, süß, ölig - wenn es darum geht, Klangfarben zu beschreiben, nähert sich das Vokabular dem der Weinkenner. Die endgültige Klangfarbe jeder Pfeife, jedes Registers herzustellen, das ist die Kunst der Intonation, und da ist Hendrik Ahrend, ebenso wie schon sein Vater, der absolute Spezialist."


Orgelbauer sind, wie ich seitdem weiß, alles andere als weltfremden Fachidioten. Der junge Chef vereint Musikalität, Musikgeschichte, Kompositionslehre, Spieltechnik, mehrere Handwerke (Holz, Metall, Feinmechanik...), und als ich mich gerade verabschieden will, nimmt er einen Anruf in perfektem amerikanischem Englisch an: Er hat eine Zeit in den Staaten gelebt und gearbeitet.


Randvoll mit Eindrücken fahre ich zum Texten und zum Schneiden der Originaltöne nach Haus.

Anchorman

13. bis 15. Januar  -  drei Tage nacheinander kann ich im NDR-Studio Oldenburg die regionale Tageszusammenfassung moderieren. Zwölf Minuten Radio (NDR 1 Niedersachsen), darin vier oder fünf oder sechs Beiträge, die launig oder seriös eingeleitet werden wollen, dazwischen ein paar überregionale Meldungen, am Schluss regionale Meldungen und ein zugespielter Wetterbericht von Jörg Kachelmanns Firma. Das ganze ist eine Aufgabe, die ich sehr gerne mag. Das Zurechtlegen der Moderations-Inhalte und -Formulierungen ist eine kreative Aufgabe, im kleinen Maßstab ein sehr persönlicher Umgang mit Thema und Sprache. Das ist nicht wie Nachrichten sprechen (mache ich ja auch oft genug)  -  hier darf der Mensch durchscheinen.

Lebe deinen Traum!

4. Januar, Montag. Die Welt ist weiß, tief verschneit, in unserem Vorgarten stehen ein Schneemann und eine Scheefrau. In Grabstede im Kreis Friesland besuche ich nach vorsichtiger Schlitterpartie mit dem Auto eine Frau namens Kiona. Sie ist Chef-Animateurin auf einem Kreuzfahrtschiff, schreibt Kreuzfahrtromane (geschützte Bezeichnung) und wird nun auch noch Protagonistin in einer Fernseh-Doku über Kreuzfahrtreisen. Die Ausstrahlung der ersten Folge steht bevor, darum interessieren sich die Hörfunkredaktionen für ein kleines Portrait.


Kiona ist Profi, das weiß ich schon, weil ich sie auch portraitiert habe, als sie mit den Kreuzfahrtromanen anfing. Sie erzählt mir genau das, was ich über die Arbeit an der Fernsehserie wissen muss, kommt dabei gut gelaunt rüber und verrät mir auch ihr Lebensmotto: Träum nicht dein Leben, lebe deinen Traum. Sie tut genau das  -  eine Frau, die an der exakt richtigen Stelle im Leben angekommen ist. Die erste Staffel (20 Folgen) der Serie wird sie nicht vollständig im TV sehen können, denn die zweite Staffel ist in Vorbereitung, und Kiona wird in einigen Tagen in Acapulco erwartet. Witziger Kontrast. Ich rutsche über die geschlossene Schneedecke nach Aschhausen zurück, bester Laune nach diesem inspirierenden Gespräch. Der Beitrag fürs Nordwestradio schreibt sich wie von selbst, und für das NDR-Regionalprogramm fällt auch noch etwas ab, bzw. für mich das entsprechende Honorar.


Am 4. Januar habe ich Kiona noch gesiezt. Inzwischen sind wir Facebook-Freunde und per Du.

Abenteuer Alltag

Mein Job lässt mich täglich neue Dinge erleben und neue Menschen kennenlernen. Ich bin u.a. freier Autor für den Hörfunk und habe immer wieder Einblicke in interessante Lebensbereiche, werde immer wieder überrascht von der Komplexität der kleinen regionalen Welt, in der ich lebe und arbeite. Das ist wundervoll und macht mich (meistens) glücklich. Das habe ich nun schon so oft erzählt - und oft genug kommt die Rückfrage: "Zum Beispiel?" Vielleicht kann ich das an dieser Stelle mal illustrieren. Um gleich einen fulminanten Einstieg zu kriegen, werde ich die "Zum-Beispiel"-Frage rückwirkend beantworten. Wir haben Mitte Mai, ich fange aber mit Begebenheiten an, die bis zum 1. Januar zurückgehen. Also, ich schlage mal meinen Kalender auf...

Ein Hundeleben!

Das war nix Berufliches: Am Silvesterabend entlief, von der allgegenwärtigen Knallerei verschreckt, eine junge Jack-Russell-Terrierdame aus Haarenstroth und fand wenige Minuten vor Mitternacht irgendwie in unseren Hausflur in Aschhausen, Luftlinie geschätzte sechs Kilometer entfernt. Wir haben die Kleine bis zum folgenden Vormittag (Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker im Fernsehen) beherbergt, aber dann wurde es doch ein wenig unübersichtlich  -  wie lange sollte das Gastspiel dauern? Seit Mitternacht wusste die Polizei von uns, dass ein Hund zugelaufen war, aber es wurde keiner vermisst (ha ha, schlecht koordiniert, die Jungs, kann ich nur sagen).

Die Polizei schickte einen freundlichen Herr vom Bauamt des Landkreises Ammerland. Der rollte an und erbot sich, den Hund mitzunehmen  -  in einem kahlen Lieferwagen, nicht mal eine Decke hinten drin. Der Hund sollte ins Material-Lager. Es war Freitag, der erste Januar. Die arme Kleine hätte bis Montagmorgen dort allein herumgelungert, ohne zu wissen, was aus ihr wird. Letzter Versuch: Herr Bauamt fragte nebenan beim Kiosk, ob solch ein Hündchen vielleicht dort bekannt sei. Antwort: Nein. Aber während der winzigen Zeitspanne, die der Landkreisbedienstete für die kurze Nachfrage brauchte, fuhr draußen ein Mann vor, der im Auftrag der verzweifelten Hundebesitzerfamilie seit dem Vorabend auf der Suche war. Hätten die beiden sich nur um wenige Sekunden verpasst, hätte Jessie (ja, nun hatte das Kind auch einen Namen) den tagelangen traumatischen Aufenthalt im Lager des Bauhofs erlitten. Aber nun kam sie schnellstens nach Hause. Die Familie war überglücklich, vor allem die Kinder.

Besonders bemerkenswert: Die Familie hatte seit dem Abend immer wieder telefonischen Kontakt mit der Bad Zwischenahner Polizei, hatte immer wieder gefragt, ob ein Hund aufgegriffen worden sei. "Nein." Und wir hatten seit Mitternacht mehrfach bei genau derselben Dienststelle angerufen, um zu fragen, ob irgendwo ein Hund vermisst wurde. "Nein." Was soll man dazu sagen?