Faszinierend der Gedanke, dass hinter jeder der vielen Stimmen im Radio ein ganzer Mensch steckt, mit Ideen und Gedanken, Lebensweisen und Lebensweisheiten, Ansichten und Meinungen, von denen wir als Hörer nichts mitbekommen. Ein lebhaftes Beispiel ist Barbara Wesel, die gestern am 15. Mai als "Frühlingsgast" beim Nordwestradio weilte (im Art-Café des Horst-Janssen-Museums in Oldenburg): Sie ist ARD-Hörfunk-Korrespondentin, zur Zeit in London, davor in Brüssel, davor (gerade zur Wendezeit) in Berlin. Die Stimme ist bekannt, aber die Person? Wieder ein kurzweiliges Gespräch, Moderatorin Julia Westlake wie immer blendend vorbereitet und super-aufmerksam, und Barbara Wesel einmal nicht an das journalistische Objektivitätsgebot gebunden. "Englisches Brot ist gar nicht zum Essen da, damit kann man Matratzen reparieren" - "Prinz Charles tut mir leid: Werden Sie mal 65 mit der Aussicht, eigentlich sollte ich König sein, aber Muttern sitzt auf dem Thron und sitzt und sitzt" - "ICH hätte den Osborne nicht zum Finanzminister gemacht" - und so weiter und so heiter.
Einen Tag später habe ich meine liebe Not, die Fülle an brauchbarem Material zum Nachbericht für Montagmorgen zu verarbeiten, denn das ist mein Auftrag. Eine prallvolle Stunde Gespräch auf einen aussagekräftigen Beitrag von dreieinhalb Minuten zu kondensieren, das ist mein Auftrag, mein Schicksal, meine Profession, und jawohl, auch meine Stärke. Ich war mal Lehrer, und ich sehe die Berufe des Lehrers und des Journalisten durchaus auf derselben Linie: Informationen sammeln, sortieren, geradezu didaktisch aufbereiten, und schließlich in allgemeinverständlicher Form von mir zu geben.
Zugegeben, manchmal ist die Kunst des Weglassens recht schmerzhaft, wenn man sich so in die Inhalte oder die Sternstunden eines Interviews verliebt hat. Aber da hilft dann manchmal die Erinnerung an besonders rabiate Redakteure oder Tontechniker, die mit einem beherzten "Was der Hörer nicht weiß, macht ihn nicht heiß" ganze Originalton- oder Eigentext-Minuten entsorgen. Das bringt den Autor schnell wieder auf den gebotenen Abstand zu seinem Thema und seinem Manuskript.
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